Stolz blättert Antonia durch ihr Kollektionsbuch. Neben den Models ist darin auch der ganze Arbeitsprozess zu sehen. Entworfen hat die 22-jährige Augsburgerin die Klamotten aus Menschenhaaren als Abschlussarbeit an der Akademie für Mode & Design in München. Dreieinhalb Jahre studierte sie dort, wobei sie seit ihrer ersten Kollektion das Thema „Nachhaltigkeit“ großschreibt. Auch bei ihrem Griff zum Menschenhaar spielte dieser Gedanke eine wichtige Rolle.
Hallo Augsburg: Wie bist du in die Modebranche gekommen?
Antonia: Ich wusste schon immer, dass ich später mal etwas Kreatives machen möchte. Doch in welche Richtung genau, war mir lange Zeit unklar. Am Gymnasium hatten wir dann einen Nachhaltigkeitstag und haben einen Film über die negativen Umweltauswirkungen der Modeindustrie angeschaut. Ab diesem Tag war sicher: Ich möchte etwas mit Mode machen und die Branche zum Umdenken bewegen.
Hallo Augsburg: Die Modekollektion aus Menschenhaar war deine Abschlussarbeit. Wie bist du auf die Idee gekommen?
Antonia: Eigentlich bin ich in der Früh aufgewacht und habe mir gedacht: Haare – das wäre es. Doch natürlich gibt es auch eine Vorgeschichte. Irgendwie hat doch jeder eine Liebe zu seinen Haaren. Wir kaufen unser Lieblingsshampoo, machen aufwendige Frisuren und leiden an Bad-Hair-Days. Doch sobald sie abgeschnitten sind, fassen wir sie nur noch mit spitzen Fingern an und schmeißen sie in den Müll. Das fand ich schade und wollte sie deshalb weiterverwenden.
Hallo Augsburg: Kam dieser Gedanke auch im Sinne der Nachhaltigkeit auf?
Antonia: Absolut. Haare können ökologisch abgebaut werden, benötigen dafür aber bis zu vier Jahre. Da sie nicht in die Biotonne dürfen, müssen sie folglich verbrannt werden. Dabei entsteht dann wieder ein CO2-Ausstoß, den man eigentlich vermeiden könnte. Das hat mich in meiner Idee noch weiter bestärkt.
Hallo Augsburg: Wie bist du zum Namen „HED.FAIR“ gekommen?
Antonia: Es ist ein Neologismus mit doppeltem Wortspiel. (lacht) Zum einen könnte man es aus dem Englischen mit „Angelegenheit des Kopfes“ übersetzen. Zum anderen ergibt sich aus dem Französischen eine Haar-rausforderung. Das passt, weil es wortwörtlich eine solche war.
Hallo Augsburg: Nach der zündenden Idee am Morgen, wie bist du dann an das Projekt herangegangen?
Antonia: Zuallererst habe ich mich mit der Frage beschäftigt, wie ich aus lauter einzelnen Haaren einen Stoff entwickeln sollte. Ich brauchte daraus also ein Garn. Doch eine Firma zu finden, die das herstellt, war unmöglich. Viele sagten bestimmt auch wegen dem Ekelfaktor ab. Am Ende habe ich eine Frau gefunden, die per Hand an einem Spinnrad für mich gearbeitet hat. Ihr habe ich dann regelmäßig sortierte und zugeschnittene Haare vorbeigebracht, während sie mir kurz darauf ein Garn daraus spann. Damit konnte ich wie gewohnt weiterarbeiten.
Hallo Augsburg: Du sagst „sortiert und zugeschnitten“. Was genau meinst du damit?
„Ich saß jeden Abend vier Stunden da, um die Haare von Hand zu sortieren und zu schneiden.“
Antonia: Ich hatte verschiedene Stoffe, für die ich auch unterschiedliche Haarlängen benötigt habe. Die Friseure haben mir allerdings alles nur in meine Tütchen reingeworfen. Also habe ich mich jeden Abend nach der Uni hingesetzt, die Haare sortiert und zurechtgeschnitten.
Hallo Augsburg: Was war die Reaktion der Friseure, dass du ständig Haare abholen wolltest?
Antonia: Das hat mich tatsächlich erstaunt, denn sie haben eigentlich kaum eine Reaktion gezeigt. Am Anfang haben sie mich noch ein wenig verwirrt angeschaut. Doch nachdem ich jeden Tag kam, freuten sie sich, mich zu sehen und hatten die Haare oftmals schon vorbereitet. Es dauerte zwei bis drei Monate, bis zum ersten Mal gefragt wurde: Was machst du damit eigentlich?
Hallo Augsburg: Was war für dich die größte Schwierigkeit?
„Wenn ich einen Schritt nach vorne gegangen war, bin ich woanders einen Schritt zurückgefallen.“
Antonia: Es gab viele Momente, an denen aufgeben einfacher gewesen wäre. Doch eine Situation war wirklich prägend. Ich hatte fast acht Kilo an Haaren gesammelt, aus denen ich anschließend Vlies herstellen wollte. Alles war schon vorbereitet, doch habe ich aus Versehen das falsche Bindemittel in einer viel zu hohen Konzentration reingeschüttet. Damit waren die gesamten Haare hinüber. Fieberhaft überlegte ich, wie ich das noch retten könnte. Am Ende musste ich innerhalb einer Woche nochmal acht Kilo sammeln.
Hallo Augsburg: Was macht die Kollektion für dich so besonders?
„Die Kollektion besteht aus 18 Teilen und sechs Looks.“
Antonia: Sie bedeutet mir sehr viel, weil ich super viel Herzblut und Energie reingesteckt habe. Zugleich ist die Kollektion aber auch aufgrund des innovativen Gedankens etwas Besonderes. Vor allem durch das Haar, aber auch die anderen verwendeten Materialien, wollte ich zeigen, was aus „Abfallprodukten“ noch Wundervolles entstehen kann.
Hallo Augsburg: Welche anderen Materialien hast du dann noch verwendet?
Antonia: Unter anderem Leder, das ein Abfallprodukt aus der Fleischindustrie ist. Das habe ich von einer Firma bezogen, die ausschließlich mit Olivenblättern gerbt. Diese fallen bei der Olivenernte an und werden sonst verbrannt, wodurch auch wieder CO2 entsteht. Das kann durch diese Technik vermieden werden, außerdem werden keine weiteren Chemikalien für das Leder benötigt. Weitere Materialien waren beispielsweise Wolljersey und Peace-Silk-Seide.
Hallo Augsburg: Kann man die Klamotten auch kaufen?
Antonia: Kommt darauf an. Wenn man mir den richtigen Preis nennt, dann würde ich es mir vielleicht überlegen. (zwinkert)
Hallo Augsburg: Welche Resonanz hast du bekommen?
Antonia: Während des Prozesses war es noch ziemlich schwierig, da sich die meisten Leute nichts darunter vorstellen konnten. Doch als ich ihnen dann meine Ergebnisse zeigte, waren die meisten beeindruckt, dass man die Haare gar nicht mehr erkennen könnte. Natürlich gab es auch manchmal negatives Feedback, da einige ein Problem mit dem Ekelfaktor hatten.
Hallo Augsburg: Was sagst du zu dem Ekel vor Haar-Mode?
„Der Ekel ist erlernt und nicht angeboren. Das bedeutet, er kann auch wieder abtrainiert werden.“
Antonia: Ich persönlich verstehe das gar nicht. Haar ist eine Ergänzung unserer selbst und wir stecken so viel Zeit und Liebe hinein. Wir fühlen uns wohl, wenn sie gut aussehen, und unwohl, wenn sie nicht so gut aussehen. Hängt dann ein Haar heraus, fassen viele es nur noch angewidert an. Das finde ich schade, denn es ist trotzdem noch ein Teil von uns – unabhängig, ob es jetzt an einem hängt oder nicht.
Hallo Augsburg: Könntest du dir vorstellen, dass später in der Modebranche mehr mit Haaren gearbeitet wird?
„Der Stoff ist ein bisschen kratziger als Wolle.“
Antonia: Klar. Haare sind nachhaltig, strapazierfähig, antibakteriell, geruchsneutral und zudem überall auf der Welt vorhanden. Natürlich braucht es noch einiges an Forschung, doch handelt es sich um einen super Rohstoff, den wir derzeit noch nicht nutzen. Ich sehe da ein großes Potenzial.