Es ist Winter und der Lockdown schränkt das Freizeitprogramm stark ein. Das Ergebnis: Wir verbringen viel Zeit mit Online-Streaming. Wir haben uns gefragt, ob das was mit uns macht und ob man tatsächlich süchtig nach Serien werden kann. Mit diesen Fragen sind wir zu Tomas Novy gegangen. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Philosophisch-sozialwissenschaftlichen Fakultät der Univeristät Augsburg und forsch zum unter anderem im Bereich der Film-, Serien und Mediensoziologie.
Gibt es so etwas wie Seriensucht? Kann man sie mit einer Sucht nach einer Droge vergleichen?
Tomas Novy: Zur medizinischen oder neurologischen Beantwortung kann ich mich als Sozialwissenschaftler nicht äußern. Aber ich glaube, es ist wichtig gesellschaftliche und individuelle Einflüsse bei solchen Suchtannahmen mitzudenken, um einschränken zu können, ob die Sucht tatsächlich alleinig durch ein popkulturelles Gut, in dem Fall die Serie, ausgelöst wird. Wenn beispielsweise Individuen nicht auf Resonanz stoßen oder von sich und ihrer Umwelt entfremdet sind. Forschungstechnisch wäre es eine Herausforderung alle anderen Einflüsse ausfiltern zu können.
Was macht es für uns so schwer, unseren Serien-Konsum zu zügeln?
Tomas Novy: Aus soziologischer Sicht ist es vielleicht die ständige Verfügbarkeit von medialen Inhalten durch das Internet. Gleichzeitig ist das Credo unserer Gesellschaft immer mehr in kürzerer Zeit zu schaffen. Dagegen anzukämpfen fällt uns schwer. Wichtig ist daher für sich selbst ein gutes Zeitmanagement zu setzen und dabei auch bewusstes Nichtstun als Entspannung anzusehen. Das Binge-Watching kann hier auch im positiven Sinne als Entspannung und Abschalten gesehen werden. Serien müssen nicht generell negativ bewertet werden, schließlich wurden auch qualitativ hochwertige Serien produziert. Sogar Trash-TV hat seine Berechtigung, wenn nicht gezielt Menschen vorgeführt werden.
Sag mir welche Serie du magst und ich sag dir wer du bist? Gibt es Untersuchungen dazu, wie Menschen entscheiden, welche Serie sie schauen?
Tomas Novy: Eine Studie von Sarah Kumpf zeigte, dass sich Menschen mit hohem kulturellem Kapital vor allem anspruchsvolle Fernsehserien anschauen, die in der Kulturwissenschaft als Quality-TV bezeichnet werden. Also beispielsweise Serien wie Twin Peaks, The Wire, Mad Men oder OZ – Hölle hinter Gittern, die vom Fernsehkritiker Alan Sepinwall in den USA abgefeiert werden. Sarah Kumpf nennt diese qualitativen Serienkonsumenten „Intellies“, sie unterscheiden sich von klassischen Fernsehzuschauern. Denn die „Glotze“ einfach mal so anzuschalten oder nebenbei laufen zu lassen, gilt hier als verwerflich. Die „Intellies“ wählen dabei selbstbestimmt und individuell die Art der Serie und die Uhrzeit des Schauens. Außerdem verarbeiten sie dann sehr intensiv Themen der qualitativ hochwertigen Serien und beziehen diese interpretativ auf sich und ihr eigenes Leben.
Fazit
Wir haben gelernt, dass man es den Begriff Seriensucht nicht gibt. Weder im medizinischen Sinne, als im kulturwissenschaftlichen Sinne. Wenn sich jemand immer mehr in seine Serien-Parallel-Welt begibt und am richtigen Leben nicht mehr teilnimmt, ist eine Suchtproblematik dennoch nicht ausgeschlossen. Allerdings ist es schwer zu belegen, dass die Serie der Grund dafür ist und nicht andere Umstände dieses Verhalten hervorrufen. Dass wir am liebsten mehrere Folgen hintereinander schauen unter anderem damit zusammen, dass das Angebot so groß ist. Damit uns der Serienkonsum allerdings noch guttut sollten wir uns Zeitfenster setzen, in denen wir fernsehen und uns damit ganz bewusst einen Entspannungsmoment gönnen. So kann uns das Serien-Gucken sogar helfen, abzuschalten ohne, dass wir gleich zu viel gucken. Und: Menschen, die viel kulturelles Wissen haben suchen sich ihre Serie bewusster aus.