Sekte in Augsburg – Shincheonji breitet sich unter Studierenden aus | Aktuelle Nachrichten und Informationen

Die koreanische Sekte „Shincheonji“ wirbt in ganz Deutschland für neue Mitglieder. Auch in Augsburg ist die Gruppierung aktiv und spricht vor allem Studierende an. Was es mit der Gemeinschaft auf sich hat.

Sekte in Augsburg – Shincheonji breitet sich unter Studierenden aus

Ihr könnt euch nicht vorstellen, jemals in die Fänge einer Sekte zu geraten? Das geht schneller als gedacht, denn die Anwerbenden beherrschen spezielle Techniken, die am Ende oftmals zur Überzeugung führen. Nicht ohne Grund gibt es weltweit tausende Glaubensgemeinschaften, die ihre Mitglieder oftmals mit fragwürdigen Taktiken zu binden versuchen. Auch in Augsburg sind einige davon vertreten.

Strenge Bindungen mit vielen Gesichtern

Scientology, Zeugen Jehovas, Mormonen – beim Begriff „Sekte“ denken die meisten Leute erstmals an solche Namen. Doch sollte die Liste weitaus länger sein, denn auch in anderen religiösen Gruppierungen sind manipulative Techniken im alltäglichen Gebrauch. Seit kurzem strebt die Sekte „Shincheonji“ in Augsburg auf und wirbt gerade unter Studierenden neue Mitglieder. Doch wer steckt dahinter und was hat es damit auf sich?

Definition des Begriffs „Sekte“

Zuallererst soll auf den Begriff „Sekte“ eingegangen werden. Laut Definition der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) handelt es sich dabei um „eine Glaubensgemeinschaft, die sich von einer größeren Gemeinschaft (man sagt auch „Mutterreligion“) abgespalten hat. Oft glauben die Mitglieder einer Sekte, den besseren oder einzig richtigen Weg zum Heil oder zur Erlösung gefunden zu haben.“

Sekten gibt es in allen großen Religionen, wobei eine Mitgliedschaft nicht immer etwas „Schlechtes“ bedeuten muss. Stattdessen handelt es sich oftmals um kleinere Gruppierungen, die den Glauben ein wenig anders definieren. Einen negativen Beigeschmack hat der Begriff allerdings durch Zusammenschlüsse bekommen, in denen die Mitglieder so manipuliert und beeinflusst werden, dass sie ihre Selbstbestimmung verlieren und nahezu willenlos nach den Vorgaben der Sekte leben. Viele Mitglieder gelten als fanatisch, da sie den Bezug zur Außenwelt verlieren und sich nicht mit kritischen Fragen auseinandersetzen wollen. Aufgrund dieser negativen Konnotation wird mittlerweile für kleinere Gruppen häufig auf Bezeichnungen wie „religiöse Sondergemeinschaften“ oder „Glaubensgemeinschaft“ zurückgegriffen.

Shincheonji: Geschichte und Gefahren

Gründung der Gemeinschaft in Südkorea

Bei „Shincheonji“ handelt sich um eine christliche Sekte aus Südkorea mit Hauptsitz in Seoul. Das Gesicht dahinter ist der 92-jährige Lee Man-hee, der die Gruppierung in den 1980ern gründete. Unter seinen Anhängern gilt er als unsterblich, wobei er sich selbst als „den versprochenen Pastor der Endzeit“ versteht. Von diesem wird in der Offenbarung des Johannes-Evangeliums gesprochen. Dr. Johannes Lorenz, Sektenbeauftragter im Bistum Limburg, erklärt gegenüber dem Domradio: „Lee möchte sozusagen die zwölf Stämme Israels wieder versammeln, um sie für die Endzeit vorzubereiten und versucht weltweit Mitglieder zu generieren.“

Expansion in der Welt

Den Ursprung hatte die neue religiöse Bewegung zwar in Südkorea, doch ist diese mittlerweile weltweit vertreten. In Deutschland liegen die Ballungsgebiete unter anderem in Frankfurt sowie Berlin. Ein Sektenbeauftragter der Diözese Augsburg erklärt dies durch die großen Flughäfen in diesen Städten: „Die Mitglieder kommen dort an und verbreiten den Glauben in ihrem Umfeld.“ Doch expandieren sie seitdem ebenso in andere Städte, darunter auch Augsburg.

Motivation und Ziele der Mitglieder

Der Name „Shincheonji“ kommt aus dem Koreanischen und heißt wörtlich übersetzt „neuer Himmel, neue Erde“. Das ist es auch, was den Anhängern versprochen wird: eine neue Welt in Einheit mit Gott. Dabei verstehen sich die Mitglieder als Missionare, um die Worte der Erfüllung der Offenbarung zu verkünden. Auf der Website heißt es: „Shincheonji lehrt keine Auslegung, sondern wir verkünden das Zeugnis über die aufgetretene Realität der Erfüllung des Neuen Testaments.“ Es handle sich demnach um „Wirklichkeiten, die tatsächlich geschehen sind“. Als Hoffnung werden das Himmelreich und ein ewiges Leben mit Gott und Jesus auf der Erde angesehen. Des Weiteren wird beschrieben, dass sich die Welt derzeit in einer „Erfüllungszeit“ befinde. Diese müsse zur Vorbereitung der Wiederkehr und zur Missionarsarbeit genutzt werden.

Aufgabe des Gründers in der Gemeinschaft

Auch auf die Rolle des Gründers wird auf der Website eingegangen. Demnach ist Lee Man-hee der auserwählte Mensch, der die erfüllten Ereignisse der Offenbarung erlebt hat und diese nun an die Gemeinde weitergeben kann. Wörtlich heißt es außerdem: „Er ersetzt auch nicht Jesus als unseren Erlöser und verkündigt keine neuen Worte der Bibel.“ Begründet werden die getroffenen Aussagen auf der Website mit passenden Bibelstellen.

Offener Weg in die Gemeinschaft

In Kontakt kommen die Menschen mit der Sekte oftmals auf der Straße. Dabei werben die Mitglieder ebenso bei bereits bestehenden christlichen Institutionen sowie auf Street-Food-Festivals und in Geschäften. Meist wird man von einer jungen und freundlichen Person angesprochen, die um Hilfe bei einem Vortrag oder Referat über die Bibel bittet. Im Anschluss folgt dann eine Einladung zu einem Seminar. Als Zielgruppe gelten in der Regel junge Menschen, oftmals Studierende. „Sie treten immer unter einem anderen Namen auf und wechseln ihre Standorte ständig“, erklärt ein Sektenbeauftragter der Diözese Augsburg. Das mache sie schwer zu erkennen und zu beobachten. Auch ehemalige Mitglieder berichten, dass der Name „Shincheonji“ zu Beginn kein einziges Mal gefallen sei. Stattdessen höre man laut Welt unter anderem Bezeichnungen wie „Deutschland Zion Gemeinde“ oder „International Peace Forum“.

Mitgliedschaft als Vollzeitjob

Angefangen mit einzelnen Seminaren, wird die Mitgliedschaft schnell zu einer Vollzeitbeschäftigung. Stundenlange Bibelstunden, tägliche Arbeiten für die Gemeinde und Strafen bei nicht erfolgreicher Missionar-Arbeit. Ein ehemaliges Mitglied erzählt gegenüber der Tagesschau: „Eine Frau schaffte es nicht, Menschen zu missionieren. Der Gruppenleiter schrie sie an. Sie musste sich auf den Boden legen und sich dann mit Händen und Füßen zu einer Brücke hochdrücken - und das minutenlang."

Durch die immer stärkere Einbindung und den starken Dualismus der Sekte verlieren Mitglieder oftmals den Bezug zur Außenwelt. Viele brechen ihre Jobs oder das Studium ab, einige sogar den Kontakt zu Freunden und Familie. „Shincheonji verlangt komplette Unterordnung. Man muss Tag und Nacht zur Verfügung stehen, Berichte darüber abgeben, wie viel missioniert wurde und was für Erkenntnisse einem gekommen sind“, sagt eine ehemalige Anhängerin der Welt. Das alles habe ihr schließlich den Hals zugeschnürt, sodass sie sich zum Ausstieg entschieden habe.

Psychische Belastung und Folgen des Ausstiegs

Nach dem Ausstieg leiden viele ehemalige Mitglieder unter psychischen Störungen und Verfolgungswahn. Auch der Kontakt zu den einstigen Weggefährten breche ab, berichtet eine Aussteigerin gegenüber der Welt. Den Mitgliedern sei nämlich die Kontaktaufnahme mit Personen, die sich aktiv gegen „Shincheonji“ entschieden hätten, verboten. Gerade aus diesem Grund fällt vielen Anhängern der Absprung schwer, denn nach der Isolation fehlen häufig Kontakt und Bezug zu Außenstehenden.

Ihr seid betroffen? – Hilfe suchen in Augsburg

Doch auch wenn der Ausstieg anfangs unmöglich erscheint, zeugt das Dasein von ehemaligen Mitgliedern vom Gegenteil. Auch nach abgebrochenem Kontakt mit Freunden und Familie durch den Einfluss der Sekte, kann dieser Bezug schnell wieder hergestellt werden. Hier ist es dienlich, keine Scheu zu haben und wieder auf alte Bekanntschaften zuzugehen. Des Weiteren gibt es verschiedene Anlaufstellen in Augsburg, an die ihr euch wenden könnt. Dazu zählen unter anderem die kirchlichen Beratungsstellen sowie der Sektenbeauftragte der Stadt Augsburg.

Ausblick auf möglichen Tod des Gründers

Die Sekte „Shicheonji“ breitet sich derzeit rasant in Deutschland aus und bereitet Kirchen sowie Behörden vermehrt Sorge. Eine genaue Anzahl der Mitglieder ist nicht bekannt, doch laut Stuttgarter Zeitung wurde im März 2023 von einer vierstelligen Zahl ausgegangen. Die Tendenz ist steigend. Doch es gibt noch einen weiteren Aspekt, der zum Nachdenken anregt. Die Anhänger der Sekte sind nämlich der Überzeugung, dass ihr Oberhaupt Lee Man-hee unsterblich sei. Aufgrund seines fortgeschrittenen Alters bleibt ein baldiger Tod allerdings nicht ausgeschlossen. Oliver Koch, Weltanschauungsbeauftragter im Zentrum Oekumene der evangelischen Kirchen in Hessen, sagt gegenüber der Welt: „Meiner Erfahrung nach sind viele Shincheonji-Mitglieder hochfanatisch – und wenn dann plötzlich das Glaubensbild zusammenbricht, auf dem alles basiert, dann könnte das problematisch werden.“