Es ist Freitag, der 28. April, und regnerisch in Augsburg. Wer sich an diesem Tag mit Bus oder Tram auf den Weg in die Arbeit macht, begegnet zwangsläufig dem ein oder anderen schick gekleideten Fahrgast. Grund dafür ist das jährlich stattfindende Rocketeer Festival im Kongress am Park – aka die Konferenz für digitale Innovationen und Zukunftstrends. Nach Betreten des Gebäudes fällt auf: Nicht alle sind so elegant gekleidet. Und das ist auch okay, denn darum soll es heute schließlich nicht gehen.
Keine Angst vor der Zukunft
Nach der Begrüßung im Foyer versammelt sich die breite Masse bei der Mainstage. Auf der Bühne im großen Saal sprechen an diesem Tag nicht nur große Namen aus Politik und Wirtschaft, sondern auch Content Creator sowie Autoren. Den Anfang macht Judith Gerlach, die bayerische Staatsministerin für Digitales. Laut ihr verändere sich die Arbeitswelt unaufhaltsam. Obwohl viele „nicht mehr hinterherkommen“ – Sprichwort ChatGPT – sei es wichtig, nicht zurückzuschrecken. Gerlach erklärt, dass man „keine Angst“ haben solle, dass Künstliche Intelligenz (KI) einem dem Job wegnehme. Ganz im Gegenteil: Sie könne dazu beitragen, unser aller Arbeitsleben innovativ und nachhaltig zu gestalten. Zu hören ist Geraune aus den Publikumsreihen. Ganz überzeugt scheinen sie nicht.
„Nothing is impossible“ – Pferdt
Spätestens nach dem Vortrag von Dr. Frederik G. Pferdt sind sie es aber. Er ist erster und ehemaliger „Chief Innovation Evangelist“ bei Google. Zu Beginn fragt er in die Runde, wer denn an eine bessere Zukunft glaube. Nicht jeder steht auf. Daraufhin erklärt er, dass er erreichen wolle, dass beim nächsten Mal alle aufstehen. Er startet mit einer gemeinsamen Meditation und ruft das Publikum dazu auf, die Augen zu schließen. „Tief ein- und ausatmen.“ Zu oft würden Menschen nur das Negative sehen und nach Fehlern suchen. Dabei gebe es eine „Chance in jeder Situation“. Außerdem solle jeder „Mut haben, zu experimentieren“. Zum bildlichen Vergleich zieht Pferdt die Pinguine heran: In ihrer Kolonie springt erstmal nur einer ins kalte Wasser, findet dann etwas zu fressen oder wird gefressen. „Ihr entscheidet, wie eure Zukunft aussieht“, betont er. Als er am Ende nochmal in die Runde fragt, stehen alle auf.
Zwischen Widersprüchen und Doppelmoral
Die Rede von Influencerin und Social-Media-Expertin Louisa Dellert ist anders, aber mindestens genauso motivierend. Mit viel Tempo und einem Müllsack in der Hand hascht sie auf die Bühne. Sie erzählt, wie sie sich damals von falschen Werten habe beeinflussen lassen. Bevor sie in das Thema Nachhaltigkeit einstieg, erreichte sie ihre Follower durch ein striktes Fitness-Programm und „Bauchmuskeln“. Desto mehr sie abgenommen habe, desto mehr Aufmerksamkeit wurde ihr geschenkt. Ihr Wahn führte zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen: „Irgendwann bin ich umgekippt“, so Dellert. Der Arzt erklärte ihr, dass sie ein Loch in der Herzklappe habe, welches sich durch den Sport vergrößerte. Doch das war nicht ihr eigentlicher Schlüsselmoment, der sie zum Umdenken bewegte.
„Macht Fehler und sprecht darüber“ – Dellert
Dieser trat ein, als sie in ihrem Urlaub auf Tauchgang ging und sich an dem Plastik im Meer störte. Wohlgemerkt: Es störte sie nur, weil auf ihren Fotos Müll zu sehen war. Sie reflektierte ihr Verhalten und hat seitdem eine neue Mission: Die Welt retten. Leider musste sie feststellen, dass dafür mehr getan werden muss „als Müll von der Straße aufzuheben“. Gleichzeitig ruft sie das Publikum auf, über „Widersprüche und Doppelmoral“ hinwegzusehen. Ihr aufgeführtes Beispiel: Jonas ist die Umwelt egal und wirft Müll auf die Straße. Und es gibt Martin, der sich für die Umwelt einsetzt und einmalig etwas auf die Straße wirft, weil kein Mülleimer in der Nähe ist. Das Publikum tendiert dazu, dass Martin der schlechtere Mensch sei. Laut Dellert solle jedoch über solche Fehler hinweggesehen werden. „Seid wie Martin!“, ruft sie fröhlich in das Mikrofon, bevor sie die Bühne verlässt.
Das Dilemma mit KI und Arbeitslosigkeit
Das Hauptthema des Rocketeer Festivals ist jedoch nicht Nachhaltigkeit, sondern KI. Während die einen der festen Überzeugung sind, dass dadurch keine Arbeitsstellen verloren gehen, wissen es andere besser. So unter anderem Philosoph und Autor Prof. Dr. Richard David Precht. Er spricht in seinem Vortrag über die Zukunft der Arbeit. „Wir kommen in ein Zeitalter, in dem viele Selbstverständlichkeiten ihre Gültigkeit verlieren.“ Dabei verweist Precht immer wieder auf eine Oxford-Studie, deren Ergebnis war, dass durch die Entwicklung von KI potenziell 49 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse in den USA (Stand: 2012) wegfallen könnten. Die Folge: Menschen haben „Angst vor Massenarbeitslosigkeit“. Fakt ist aber, dass derzeit dutzende Arbeitskräfte fehlen, siehe Fachkräftemangel.
„Künstliche Intelligenz kann noch (!) nicht alles“ – Lobo
Laut Precht ist das Versprechen der Digitalisierung, dass geistige Routinearbeit verschwinde. Gemeint sind Jobs in der Verwaltung sowie im Büro. Sascha Lobo, Autor und Digital-Experte, sieht das ähnlich. Auch er ist Gast und Redner auf dem Rocketeer Festival. In seinem Spiegel-Artikel zieht er den Vergleich, dass die Industrialisierung das Fließband automatisiert hat. KI hingegen automatisiere das intellektuelle Fließband. Dadurch finde eine Verschiebung der Arbeit statt. In seinem Vortrag betont Lobo, dass das Problem an der größer werdenden Überqualifikation im Job liege. Was den Gästen wohl am meisten hängengeblieben ist, ist die Begrüßung von Olaf Scholz: „Hallo liebes Publikum des Rocketeer Festivals“, ist über die Lautsprecher zu hören, bevor er das Wort an Lobo übergibt. Eindeutig die Stimme des Bundeskanzlers – welche aber durch eine KI imitiert wurde.
Im Kampf gegen Justin Bieber
Etwas weniger dystopisch wird es gegen Ende des Rocketeer Festivals: Den Abschluss auf der Mainstage machen Parfüm-Influencer Daniel Schütz, welcher als Jeremy Fragrance bekannt ist, sowie Co-Founder Christian Müller. Wer Fragrance kennt, weiß, dass sich seine Rede schwer in Worte fassen lässt. Insgesamt besteht sie aus einem kunterbunten Mix von Motivationsgebrabbel, coolen Sprüchen sowie halbherzigen Ratschlägen. Seine drei Tipps, die er den Gästen unbedingt auf den Weg geben will: „Fühlt euch wie Gewinner, focus on the positive und geile daily habits.“ Obwohl Fragrance sich selbst immer als die „number one“ bezeichnet, weiß er, dass er täglich um die Aufmerksamkeit seiner Follower buhlen muss. Im Prinzip „kämpft er gegen Justin Bieber“, wie er selbst formuliert.
Also tut der berühmte Influencer nur so taff? Man weiß es nicht. Fest steht jedoch, dass ihm nicht nur digital Leute folgen. Auch auf dem diesjährigen Rocketeer Festival laufen ihm Herden von Fans und Kameraleuten hinterher, welche alle ein Foto von oder mit dem jungen Unternehmer haben wollen. Kein Wunder, denn er polarisiert und fällt nun mal auf: Spätestens dann, wenn er wieder seine berühmt-berüchtigten einarmigen Liegestützen macht, wie zum Ende seiner Rede. „Number one, let’s go.“