Aufklärung über Lipödem – die Power Sprotte im Interview | Aktuelle Nachrichten und Informationen

Wir haben mit der Health-Referentin Caroline Sprott über die Krankheit Lipödem, ihre persönliche Geschichte und ihr neu erschienenes Buch gesprochen. Außerdem stellen wir euch das Lipödem Concept-Store in Augsburg genauer vor.

Aufklärung über Lipödem – die Power Sprotte im Interview

Caroline Sprott, auch bekannt als die „Power Sprotte“ und die Mutter der Lipödem-Community, hat vor 13 Jahren selbst die Diagnose Lipödem bekommen. Da es damals keine ausreichenden Informationen über die Krankheit gab, gründete sie ihren aufklärenden Blog „Lipödem Mode“. Daraus ergab sich später die Kooperation mit dem größten Kompressionshersteller „Medi” als Model und Referentin. Während der Corona-Pandemie entstand dann ihr Wunsch nach einem eigenen Geschäft für Erkrankte. Sie fing klein innerhalb der eigenen vier Wänden an und vergrößerte sich schnell online. Heute hat sie eine freistehende Fläche am Milchberg für ihr außergewöhnliches Konzept gefunden.

Hallo Augsburg: Welche Produkte gibt es in deinem Laden zu kaufen?

Caroline: Mein Shop soll eine erste Anlaufstelle nach einer entsprechenden Diagnose für Kompressionsträger:innen sein, um ihnen bei den anstehenden Herausforderungen zu helfen. Es geht mir dabei in erster Linie um eine gelungene Kopfgesundheit und dem nötigen Maß an Selbstmanagement. Von hochwertigen Pflegeprodukten, Keilkissen und lustig gemusterten Lymph- Tapes, zum Beispiel mit Bananen, findet man bei mir zahlreiches. Zudem erhalten Kund:innen ausführliche Beratung von mir und Infomaterial zu Themen wie „Selbstmassage” oder „was mache ich im heißen Sommer”? Die Lipödem-Mode ist mit motivierenden Statements beispielsweise „no pressure- no diamonds“ bedruckt, damit sich die Community verstanden fühlt und nach außen vereint ist.

„Ich versuche, dass man sich weniger krank fühlt, indem ich alles bunt, lustig und schön gestalte und hoffe, dass das den Menschen hinter der Diagnose Kraft gibt.“

Hallo Augsburg: Was ist die Krankheit Lipödem genau?

Caroline: Lipödem ist eine krankhafte und schmerzhafte Fettverteilungsstörung, die sich in manchen Fällen auch optisch äußert. Die Wissenschaft nimmt an, dass die Krankheit wahrscheinlich genetisch vererbt wird und durch hormonelle Bedingungen ausgelöst wird. In der Regel befällt die Fettverteilungsstörung vor allem Arme und Beine, aber auch andere Körperstellen können in Einzelfällen betroffen sein. Die ärztliche Diagnose wird nach dem Ausschlussprinzip von anderen Krankheiten gestellt durch das reine Sicht- sowie Tastprinzip. Lipödem ist nicht heilbar, jedoch kann der Schmerz durch konservative Maßnahmen wie Kompressionsstrümpfe, manuelle Lymphdrainage oder Ernährungstherapie gelindert werden. Es gibt eine operative Maßnahme die Liposuktion, eine lymphschonende Fettabsaugung, die dennoch keine endgültige Heilung verspricht.

Hallo Augsburg: Worin bestehen die Unterschiede zu verwandten Krankheiten wie Lymphödem oder Thrombose?

Caroline: Im Volksmund heißt es meist bei allem: „Wasser in den Beinen“ – das kann aber auch ein Phlebödem sein, wenn die Venen nicht mehr richtig schließen. Die Ödemart wird also anhand der Ursache bestimmt. Lymphödeme entstehen demnach durch eine Beeinträchtigung des Lymphsystems, die in zahlreichen Fällen bereits angeboren sind oder sich nach einer OP entwickeln. Das Lipödem hingegen hat nicht direkt etwas mit dem Lymphsystem zu tun, sondern betrifft in erster Linie Fettzellen, die sich stark verändern. Thrombose hingegen kommt durch ein Blutgerinnsel in den Gefäßen zu Stande, das zum Beispiel beim Fliegen oder durch die Pille verursacht wird. Alle Erkrankungen vereint die ähnliche Therapie: Das Tragen von Kompressionen.

Hallo Augsburg: Wie bist du damals mit deiner eigenen Lipödem Diagnose umgegangen?

Caroline: Als ich sie bekommen habe, habe ich noch nie davon gehört und war erstmal unbedacht. Ich wusste durch meine betroffene Mutter nur ungefähr, was Ödem-Erkrankungen sind. Ich war letztendlich ein Glücksfall, denn ich wurde unmittelbar von meinem Hausarzt in eine Gefäßklinik überwiesen. Die Diagnose läuft leider nicht immer so reibungslos und deswegen ist es mir auch ein wichtiges Anliegen, dass die Symptome für Lipödem bekannter werden. Erst nach meiner Lipödem Diagnose an den Armen, bin ich in ein emotionales Loch gefallen. Ich musste selbst lernen, dass es den Menschen egal ist, dass ich eine Bestrumpfung trage und ich mir nur unnötige Gedanken gemacht habe. Aus diesem Grund bin ich eine Anlaufstelle für andere geworden, damit sich keiner mit diesen Gedanken allein gelassen fühlt.

„Ich bin so ein lebensfroher Mensch und ich bin erstmal ins komplette Gegenteil gekehrt.“

Hallo Augsburg: Du bist ursprünglich gelernte Mediengestalterin. Was hat dich dann zur Mode gebracht?

Caroline: Am Anfang hatte ich nur die Idee Merch für meinen Blog zu designen. Ich wollte nicht nur bequeme Kleidung erschaffen, sondern eben auch Statements in die Gesellschaft setzen. So steht der vorher angesprochene Spruch „no pressure – no diamonds“ für den Druck, der von der Kompression ausgeht. Für mich ist es bis heute eine modische Eigentherapie, die mir besonders durch die schwere Zeit mit meiner Armkompression geholfen hatte. Diese Möglichkeit des persönlichen Ausdrucks möchte ich anderen Menschen weitergeben und mich für ihre spezifischen Modebedürfnisse einsetzen. Ich ermögliche auch mal einen leicht ironischen Umgang mit Lipödem mit T-Shirts auf denen „Flachstrick-Heldin“, „Schmerz ist unsichtbar“ oder „geile Masche“ steht, also wegen den Maschen der Kompressionen.

Hallo Augsburg: Am 18.Oktober erschien ja auch dein erstes Buch „Diagnose Lipödem? – Du bist nicht allein!“, welche Inhalte erwarten uns darin?

Caroline: Ich habe das Buch geschrieben um Patient:innen auf Augenhöhe zu begegnen. Ich bin sozusagen ihre begleitende Schwester, die sie ab einem Verdacht oder der Diagnose Lipödem unterstützt. Ich beantworte Fragen, wie man einen geeigneten Facharzt findet oder beschreibe Übungen für ein gesundes Selbstmanagement. Aber mein Buch eignet sich auch Angehörige, um einen besseren Einblick zu bekommen, was dieser Mensch eigentlich gerade durchmacht. Natürlich behandle ich die praktischen Dinge im Alltag zum Beispiel wie eine Kompression funktioniert, welche Sportart hilft und wie man sich ernähren sollte. Für konkretere medizinische Fragen habe ich mir eine großartige Fachärztin mit ins Boot geholt. Die Gestaltung des Buchs gleicht eher einem farbigen Magazin mit vielen Bildern, um eben nicht nur ein Bild von kranken, sondern auch lebensfreudigen Menschen zu vermitteln.

„Klar bin ich aktiv auf Social-Media und schreibe meinen Blog. Trotzdem erreiche ich damit nur einen gewissen Teil der betroffenen Frauen. Das möchte ich mit dem Buch jetzt verändern.“

Hallo Augsburg: Welchen Rat kannst du Menschen noch auf den Weg mitgeben, die die Diagnose „Lipödem“ neu bekommen?

Caroline: Eure Aussichten sind niemals hoffnungslos. Es wird immer einen Weg für euch geben und auch, wenn er sich nicht sofort zeigt, wird er sich mit der Zeit ergeben. Es hilft nach einer frischen Diagnose erstmal durchzuatmen, sich jemandem anzuvertrauen sowie seine eigenen Gedanken zu sortieren. Mir hat es in dieser Situation geholfen meine Gedanken auf einem Blatt Papier runterzuschreiben und einen Schritt nach dem anderen zu machen. Am wichtigsten ist, sich niemals mit seinen Zukunftsängsten allein fühlen zu müssen und keine Angst zu haben, um Hilfe zu bitten.

Hallo Augsburg: Was wünschst du dir von der Gesellschaft und Politik gegenüber Lipödem-Erkrankten für die Zukunft?

Caroline: Ein großes Problem liegt im geringen Versorgungstandard für Betroffene. Nur jedes halbe Jahr bekommt man ein Paar neue Kompressionsstrümpfe, das man jeden Tag auf seiner Haut tragen muss. Außerdem sind die Regelungen der operativen Liposuktion fragwürdig. Unser ehemaliger Gesundheitsminister Jens Spahn führte zwar ein, dass ab einem fortgeschrittenen Stadium die OP durch die Krankenkasse bezahlt wird. Diese OP hat aber in einem früheren Stadium viel höhere Erfolgsaussichten. Zudem braucht die Liposuktion eine aufwendige Zusatzausbildung, die nur wenige Ärztinnen in Deutschland besitzen. Aktuell läuft auch eine wissenschaftliche Studie zu den Behandlungsmöglichkeiten für Lipödem Patient:innen, deren Bedeutung für den Versorgungstandard ist allerdings noch unklar. Gesellschaftlich wünsche ich mir ein breiteres Gehör für unsere berechtigten Sorgen und Ängste. Und das Vorurteil, dass diese Diagnose mit dem Körpergewicht zusammen hängt, muss endlich aufhören.