In Deutschland werden Femizide verharmlost | Aktuelle Nachrichten und Informationen

Alle zwei Tage stirbt eine Frau in Deutschland durch ihren (Ex-)Partner. Femizide sind hierzulande keine Einzelfälle und dennoch mangelt es weiterhin an wirksamen Schutzmaßnahmen und politischem Willen.

In Deutschland werden Femizide verharmlost

Schau auf die Uhr. Für eine, für eine zweite, eine dritte und dann eine vierte Minute. Wenn die vierte Minute vorbei ist, hat laut Zahlen des Bundeskriminalamts erneut eine Person in Deutschland häusliche Gewalt erleiden müssen. 180.715 Frauen und Mädchen waren 2023 in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt. 5,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Was dabei aber leider oft vergessen wird ist, dass diese Straftat oftmals auch der Vorbote für eine noch grausamere Tat ist – den Femizid.

Was ist ein Femizid?

„Femizid“ bezeichnet die gezielte Tötung von Frauen, lediglich, weil sie Frauen sind. Die Täter sind meist (Ex-)Partner und zu 90 Prozent Männer. Die Wahrscheinlichkeit für Frauen durch einen Femizid zu sterben steigt, wenn in der (ehemaligen) Beziehung häusliche Gewalt stattfindet. Was hierbei betont werden muss: Femizide sind keine tragischen Einzelfälle, Beziehungsdramen, Eifersuchtstaten oder Tragödien, sondern grausame Realität. Genauso ist auch die Zahl an Femiziden gestiegen. Im Jahr 2022 starben „nur“ 133 Frauen durch ihren (Ex-)Partner. 2023 wurden bereits 155 Frauen von ihren (Ex-)Partnern getötet – also alle zwei Tage. Das Beängstigende daran ist, dass die Tendenz immer weiter steigt.

Wenn Macht zum Motiv wird

Femizide finden Nährstoff in patriarchalen und strukturell verankerten Machtverhältnissen. Nährstoff darin, wenn Männer sich als das überlegene Geschlecht ansehen und meinen, einen Besitzanspruch auf ihre (Ex-)Partnerin zu haben. Und wenn sie diese vermeintliche Überlegenheit, die Kontrolle über die Frau, verlieren, töten sie – nur um diese vermeintliche Macht wiederzuerlangen.

Wenn Femizide verharmlost werden

In Deutschland fehlt die Weitsicht beim Schutz von Frauen vor Gewalt allerdings noch immer. Femizide werden oft nicht als Mord, sondern als Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Dies ist besonders fragwürdig, da seit 2018 – auch in Deutschland – die Istanbul-Konvention gilt, welche bei Taten gegen die (Ex-) Partnerin Strafverschärfungsgründe vorsieht. Doch noch immer berücksichtigen deutsche Gerichte geschlechtsbezogene Motive, wie Misogynie (Hass gegen Frauen) und patriarchale Strukturen, nicht. Auch vorausgegangene Gewalt in der Beziehung wird beim Urteil meist nur selten berücksichtigt. Fokus liegt daher bei der Urteilsverkündung rein auf dem Ablauf der Tat und nicht auf dem Verhältnis zwischen Täter und Opfer. Dadurch erfüllen Femizide oftmals nicht die Mordmerkmale, wie Heimtücke oder niedrige Beweggründe. Stattdessen steht das Verhalten der Frau im Mittelpunkt. Und Männer? Denen werden strafmildernde Umstände zugesprochen – wie, dass sie sich durch die vorausgegangene Trennung in einem emotionalen Ausnahmezustand befunden hätten.

Täter dürfen bleiben

Femizide werden in Deutschland folglich immer noch verharmlost. Diese Verharmlosung beginnt oftmals schon bei Straftaten, die im häuslichen Bereich geschehen – und eben die Vorstufe zu Femiziden bilden können. Taten, die im häuslichen Bereich stattfinden, werden meist geringer bestraft, als wenn diese in der Öffentlichkeit geschehen. So kam es bei Polizeieinsätzen wegen häuslicher Gewalt nur in acht Prozent zu einem Platzverweis des Täters, bei weiteren acht Prozent zu einer Gefährderansprache. Nur in einem Prozent der Einsätze kam es zu einer Ingewahrsamnahme des Täters. Hingegen kamen 20 Prozent der Frauen in Frauenhäuser durch polizeiliche Vermittlung dorthin (Quelle: Bundesweite Frauenhaus-Statistik 2023). Zudem behalten Täter regelmäßig das (geteilte) Sorgerecht für gemeinsame Kinder. Somit behalten sie aber auch den Zugang zu ihren Expartnerinnen und die Möglichkeit, diesen weiterhin physische oder psychische Gewalt anzutun.

Fehlende Gesamtstrategie

Des Weiteren scheitert es auch bei der Umsetzung von Hilfe- und Schutzangeboten für Frauen. Trotz des im Januar unter der Ampel-Regierung verabschiedeten Gewalthilfegesetzes, fehlt weiterhin eine politische Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Statt Frauenhäuser aus Bundesgeldern zu finanzieren, bleibt dies weiterhin Sache der Länder. Diese können sich das oft nicht oder nur unzureichend leisten. Oder wollen es einfach nicht. Der Berliner Senat, unter Leitung eines CDU-Politikers, plant beispielsweise im kommenden Jahr, die Mittel für den Gewaltschutz zu kürzen. Die Konsequenz daraus ist, dass Plätze in Frauenhäusern fehlen oder diese sogar schließen müssen. Und wohin gehen Frauen – oft mit Kindern – wenn sie am Schutzhaus auf verschlossene Türen treffen? Nicht selten zurück zum gewalttätigen Partner oder an Orte, zu welchen auch dieser Zugang hat.

Was sagt das über Deutschland aus?

Um seine umstrittene Stadtbildaussage zu verteidigen, berief sich Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) auf den Schutz der Töchter. Ironisch nur, dass die Sicherheit von Frauen ansonsten in der Politik des Bundeskanzlers und seiner Partei keine allzu hohe Priorität zu haben scheint. Statt den Schutz der Töchter zu nutzen, um rassistische Aussagen zu rechtfertigen, sollte der Bundeskanzler lieber dafür sorgen, dass Deutschland seine Gesetzte so anpasst, dass sie Frauen schützen. Dazu gehört die Erfüllung der Vorgaben durch die Istanbul-Konvention und dass die „Tötungen aufgrund geschlechtsspezifischer Motive“ ein Mordmerkmal wird. Zudem sollte sich der Bundeskanzler für mehr Präventionsmaßnahmen einsetzten, sodass Frauen besser vor Gewalt durch Männer geschützt werden.

In Spanien werden Täter von beispielsweise häuslicher Gewalt bereits seit 2009 mit einer elektronischen Fußfessel überwacht. Nähern sie sich festgelegten Schutzzonen, werden Opfer und Polizei alarmiert. Im Ernstfall kann so schneller eingegriffen und oft Schlimmeres vermieden werden. In Deutschland gibt es dieses Konzept bisher nur in Hessen. Aber auch andere Gesetze können den Schutz von Frauen erhöhen. Dazu gehört beispielsweise das Gesetz „Nur Ja heißt Ja“, wodurch sexuelle Handlung nur dann legal ist, wenn alle beteiligten Personen ausdrücklich zustimmen. Jede Form von Widerstand oder Schweigen zählt als Ablehnung. Seit 2018 gibt es das Gesetz in Schweden, seit 2022 in Spanien und seit diesem Jahr auch in Norwegen und Frankreich.

Femizid ist Mord

„Die Scham muss die Seite wechseln“, sagte die Französin Gisèle Pelicot im Rahmen der Prozesse gegen die Männer, die sie über Jahre vergewaltigt hatten. Die Scham muss nicht nur bei sexuellen Übergriffen die Seite wechseln. Es kann nicht länger sein, dass Opfer sich aus Angst vor Tätern, Gewalt oder Reaktionen aus dem Umfeld nicht trauen zu fliehen oder Anzeige zu erstatten. Denn nicht jeder Mord ist ein Femizid. Aber jeder Femizid ist Mord an einer Frau – der einzig aus dem Grund begangen wird, weil sie eine Frau ist.

Hinweis: Die Zahlen für 2024 sind noch nicht veröffentlicht. Daher werden Zahlen aus 2023 verwendet.