Ich nehme dich mit auf eine kurze Zeitreise.
Wir schreiben das Jahr 2000. Ich bin vier Jahre alt und stehe vor meinem riesengroßen Antik-Kleiderschrank, der mir damals so hoch erscheint, wie der Augsburger Hotelturm. Jedenfalls berührt er fast die Zimmerdecke und in meinem kindlichen Verständnis berührt diese fast die Wolken. Aus dem Schrank ziehe ich mein Outfit für den Tag: Eine Unterhose, weil Mama gesagt hat, die soll ich drunterziehen, einen Kuschelpulli und meine Lieblingsleggins – die mit den bunten Katzengesichtern. Ich hatte sie die letzten drei Tage schon an, also kann ich sie nochmal anziehen. Zu meiner Enttäuschung sagt Mama, dass ich an manchen Tagen etwas anderes als die Leggins anziehen soll.
Gesellschaftliche Erwartungen sind auch für Menschen mit Mir-Egal-Einstellung spürbar, besonders wenn es um das Thema Mode geht. Mann oder Frau will möglichst schlank wirken, es sollen keine Schweißflecken, dafür aber das penibel gewählte Outfit sichtbar sein, weshalb wir lieber im Winter frieren und im Sommer mal schwitzen. Nippelblitzer sind trotz „Free-the-Nipple” immer noch ein totales No-Go und wehe dem, der sich nicht „edgy” oder „alternativ” genug anzieht – der wandert sofort in die „Langweilig“-Schublade. Tschau Kakau.
Na, zwickt’s?
Die unbequemste Kleidung tragen wir, wenn wir das Gefühl haben, dass das Gesehenwerden wichtiger ist, als das Sehen und das genießen des Moments. Deshalb tragen wir gerade zu festlichen Anlässen Kleider und Anzüge. Dabei zupft sich Frau die ganze Zeit ihre Strumpfhose zurecht und muss das Arsenal an Blasenpflastern gegen die Pein der hohen Schuhe in ihrer viel zu kleinen Handtasche verstauen. Sie zieht mit Pflastern gewappnet los, wie der Ritter in die Schlacht – voller Erwartung verletzt zu werden, nur eben von den unbequemen Schuhen und nicht von Todfeinden auf dem Dancefloor oder beim Firmenevent. Währenddessen arbeitet der Mann daran, sich mit dem Gefühl abzufinden vom Hemdkragen stranguliert zu werden. Auch nicht viel besser. Wer vor hat, nach dem Event noch jemanden mit nach Hause zu nehmen, fügt dem eh schon zwangsgeladenen Outfit ein zusammenpassendes Paar Unterwäsche bei. Aber bitte dann trotzdem entspannt wirken und im Bett eine Top-Performance hinlegen.
Ganz ehrlich, wir schreiben das Jahr 2020. Wie wär’s, wenn wir das neue Jahrzehnt dazu nutzen, um uns von unbequemen Klamotten zu verabschieden?
Der einfachste Trick ist, Kleidung zu kaufen, die mehrere Zwecke erfüllen kann. Eine Freundin hat mir mal den Tipp gegeben, darauf zu achten, dass eine Hose, ein Oberteil oder eine Jacke sowohl up- als auch down-gedressed werden kann. Also, probier’s mal mit Gemütlichkeit, denn das geht auch mit Stil!