Marcell Engel ist seit über 28 Jahren Tatortreiniger und hatte in dieser Zeit schon über 17.000 Einsätze. Obwohl sein Job ihn jeden Tag aufs Neue mit den tragischsten Schicksalen in Berührung kommen lässt, liebt Marcell Engel seinen Beruf. In dem Podcast „Todesursache“ sowie der Videoreihe „Tatort Leben“ lässt er auch euch an seinen Erlebnissen teilhaben. Seit Ende 2022 ist er außerdem mit seiner Live-Tour in vielen Städten Deutschlands zu sehen.
Hallo Augsburg: Wie bist du dazu gekommen, Tatortreiniger zu werden?
Marcell Engel: Das war mehr oder weniger ein absoluter Zufall. Als gelernter Kfz-Mechaniker hatte ich schon früh den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und einen eigenen Abschleppdienst gegründet. Eines Tages erhielt ich einen Anruf: Ich sollte ein Auto abschleppen, in dem sich ein Mann erschossen hatte. Damals war ich gerade einmal 21 Jahre alt und mit dem Tod noch nie wirklich in Berührung gekommen. Für mich war das dennoch hochspannend und so nahm ich den Auftrag an. Ich säuberte das Auto und fand einen Kunden, der aufgrund seiner Vorgeschichte daran interessiert war. Das war meine erste Erfahrung einen Tatort zu reinigen. Doch bis ich vollständig zu dem Beruf umgeschwenkt bin, hat es noch Jahre gedauert.
Hallo Augsburg: Gibt es eine Ausbildung für den Beruf?
„Tatortreiniger kann theoretisch jeder werden. Gärtner auch und trotzdem sieht nicht jeder Garten schön aus.“
Marcell Engel: Nicht direkt. Die Arbeit eines Tatortreinigers vereint verschiedene Berufsbilder. Kenntnisse sollten unter anderem in der Wasserschadensanierung, der Schädlingsbekämpfung, der Gebäudereinigung sowie der Brandschadensanierung vorhanden sein. Außerdem empfiehlt es sich, den Desinfektorenschein zu machen. Da ich in den genannten Bereichen über die entsprechenden Zusatzausbildungen verfüge und darüber hinaus über vielfältige Erfahrungen, biete ich eine Ausbildung für diesen herausfordernden und anspruchsvollen Beruf an. In den Online-Kursen der Akut SOS Clean Academy stehen dafür die Module bereit.
Hallo Augsburg: Was fällt alles in deinen Tätigkeitsbereich?
Marcell Engel: Ich übernehme alles, was eine normale Reinigungskraft nicht schafft. Hierbei kann es sich um Tatorte, aber auch um Wohnungen von Messie-Erkrankten handeln. Letztendlich sind wir ein Stück weit die Müllabfuhr der Gesellschaft, indem wir Leben beräumen, die davor ein gesellschaftsrelevantes Problem hatten. Dies kann Einsamkeit, Mobbing, oder Rassismus, aber auch ein radikalisiertes Attentat sein.
Hallo Augsburg: Wie viel kriegst du noch von den Verbrechen mit?
Marcell Engel: Das ist unterschiedlich. Natürlich setzt der Anblick eines Tatorts sofort ein Kopfkino in Gang. Ich habe mittlerweile so viel Erfahrungen gesammelt, dass meine Theorien meist gar nicht weit entfernt von der Realität liegen.
Hallo Augsburg: Empfindest du bei deiner Arbeit manchmal Ekel?
Marcell Engel: Ich habe der Reinigungsaufgabe gegenüber noch nie einen Ekel empfunden, da bin ich von der Natur irgendwie mit einer gewissen Resistenz ausgestattet worden. Das Einzige, was mich regelmäßig anekelt, sind die Reaktionen der Angehörigen an einem Leichenfundort, wenn sie sich um die Habseligkeiten des Verstorbenen streiten.
Hallo Augsburg: Hat sich dein Blick auf die Welt durch deinen Beruf geändert?
Marcell Engel: Jeden Tag aufs Neue. Ich bin dankbar, dass ich selbstbestimmt, gesund und frei leben kann. Mir wird immer vor Augen gehalten, dass das nicht selbstverständlich ist – obwohl wir das oftmals alle glauben. Mitunter leben wir als ob wir zwei davon haben. Das ist aber nicht so. Ja, mein Blickwinkel auf das Leben hat sich dadurch geändert und so habe auch ich mich verändert. Doch eine neue Perspektive einzunehmen, ist auch immer eine Chance für Veränderung.
Hallo Augsburg: Hast du schon einmal etwas entdeckt, das die Polizei übersehen hat?
Marcell Engel: Wir mussten schon oft die Reinigung unterbrechen, um in Absprache mit der Polizei eine neue Spurensicherung in die Wege zu leiten. Einmal haben wir beispielsweise eine Geheimtür entdeckt, hinter der eine Folterkammer verborgen war. Ein anderes Mal lag eine abgeschnittene Hand unter dem Bett.
Hallo Augsburg: Wie hast du gelernt mit dem Gesehenen umzugehen?
„Meine Motivation ist es, den Menschen in einer der schwersten Situationen ihres Lebens ein Bildnis zu nehmen.“
Marcell Engel: Das klingt wahrscheinlich merkwürdig, aber die schrecklichen Bilder sind für mich immer wieder ein positiver Antrieb. Mir wird dadurch bewusst, wie ich mein Leben erleben möchte. Das ist auch meine Motivation, diese Bilder wieder aus dem Kopf zu kriegen. Ich nenne das Gedankenhygiene. Das bezieht sich natürlich nicht nur auf meinen Beruf, sondern ist übertragbar auf alles Negative im Leben.
Hallo Augsburg: Was war dein spannendster Fall?
„Einen Großteil der Fälle, die wir aus den Medien kennen, habe ich persönlich gereinigt.“
Marcell Engel: Nach den ganzen Aufträgen und all den Erlebnissen gibt es eigentlich nichts mehr, was ich noch nicht gesehen habe. Deshalb kann ich gar nicht genau sagen, was jetzt „der Spannendste“ war – zumal das ja auch immer eine persönliche Einschätzung ist. Was ich aber immer wieder krass finde? Wenn man einen Leichnam oder ein Körperteil findet, ohne damit zu rechnen. Einmal mussten wir eine alte Bunkeranlage in Berlin räumen, in der immer illegale Rave Partys stattfanden. Dort war ein riesengroßer Müllberg unter dem ein junger Mann halb verwest lag. Wir fanden ihn durch Zufall – das war schon heftig.
Hallo Augsburg: Gibt es auch lustige Momente im Berufsalltag?
Marcell Engel: Auf jeden Fall. Einmal gab uns beispielsweise der Kunde einen Schlüssel und erklärte, dass wir in den ersten Stock müssten. Ich drehte an diesem Tag ein Instagram-Live, um die Leute ein wenig in meinem Alltag mitzunehmen. Das Haus hatte jedoch ein sogenanntes Hochparterre und als wir in dem vermeintlich ersten Stock standen, wunderte ich mich noch, weshalb mein Kollege so lange an dem Schloss herummachte. Da ging plötzlich die Tür auf und ein Typ stand vor uns: Oberkörperfrei, 180 Kilo und überall Tattoos. Im ersten Moment war das natürlich ein Schock, doch danach haben wir uns schlappgelacht. Wir waren halt erst im Hochparterre angekommen. Kein Wunder, dass der Schlüssel nicht passte.
Hallo Augsburg: Würdest du wollen, dass deine Kinder Tatortreiniger werden?
„Oftmals nehme ich die Bildnisse des Todes mit nach Hause.“
Marcell Engel: Mit meinem ältesten Sohn arbeite ich tatsächlich zusammen. Er ist allerdings spezialisiert auf Schädlingsbekämpfung. Hin und wieder begleitet er auch andere Einsätze wie Tatortreinigungen sowie Beräumung und Desinfektion von beispielsweise Messie-Wohnungen. Meine drei jüngeren Kinder wissen zwar, was ich beruflich mache – trotzdem würde ich mir für sie etwas anderes als Tatortreinigungen wünschen.