Seit seinem ersten Album „Trodin on“ sind nun schon 25 Jahre vergangen, doch noch immer schlägt das Herz von Gentleman für die Reggae-Musik. Der bürgerliche Tilmann Otto ist in Köln aufgewachsen und lebt auch heute noch in der Stadt. Als seine zweite Heimat lässt sich der Inselstaat Jamaika anführen, der als Ursprung des Reggaes gilt. Dort verbrachte Tilmann viel Zeit und lernte so das Musikgenre kennen und lieben.
Hallo Augsburg: War dir schon immer klar, dass du Musiker werden willst?
Gentleman: Nein, überhaupt nicht. (lacht) Die Musik war zwar schon immer ein zentraler Bestandteil meines Lebens, doch der Weg zum Reggae-Sänger war eher ein Prozess als ein Entschluss. An manchen Tagen wache ich noch immer auf und wundere mich, wie lange das Ganze jetzt schon geht. Das ist ein absolutes Geschenk und ich bin unglaublich dankbar dafür.
„Musik war für mich schon immer eine Art von Therapie, um im Leben besser klarzukommen.“
Das Aufnehmen eines Songs gibt mir das Gefühl, etwas auf dieser Welt zu hinterlassen. Es ist immer wieder eine Überraschung zu sehen, wo ein Lied beim Schreiben hinführt und wie es dann bei den Leuten ankommt. Teilweise erhalte ich Kommentare von Menschen, die sich durch die Musik verstanden fühlen. Das gibt mir das Gefühl eines tieferen Sinnes hinter alldem – und das ist unglaublich motivierend.
Hallo Augsburg: Du wurdest in deiner Jugend von zwei Schulen verwiesen. Was war der Grund dafür?
Gentleman: Ich habe ein wenig rebelliert, weil ich damals einfach andere Interessen hatte. Oftmals bin ich nicht zur Schule gegangen – das war wohl der Hauptgrund für den Verweis. Doch was ich dort dennoch gelernt habe, war das Miteinander in der Klasse mit anderen Leuten. Trotz verschiedener Hintergründe, Religionen und Nationalitäten sind wir gut miteinander klargekommen. Dieser soziale Aspekt hat mir mehr beigebracht als der restliche Schulstoff.
Hallo Augsburg: Wie kamst du zu deinem Künstlernamen?
Gentleman: Wenn ich das so genau wüsste… eigentlich war es jugendlicher Leichtsinn. Ich war mit 18 Jahren in Jamaika und habe mich damals vor ein paar Leuten als Tilmann vorgestellt. Einer hat dann gefragt: „So wie Gentleman?“ Anfangs habe ich noch darüber gelacht, doch als ich dann meinen ersten Song aufgenommen habe und einen Künstlernamen suchte, ist mir diese Geschichte wieder in den Sinn gekommen.
Hallo Augsburg: Wie sehr unterscheidet sich „Gentleman“ von „Tilmann Otto“?
Gentleman: Natürlich ermöglicht es eine unglaubliche Freiheit, wenn man textlich in Rollen schlüpfen kann. Das fällt mir allerdings sehr schwer, denn in meiner Musik spiegeln sich meist meine eigenen Gefühle und Gedanken wider. Deshalb würde ich sagen, dass der Unterschied sehr gering ist.
Hallo Augsburg: Was liebst du an der Reggae-Musik?
„Wenn man das erklären könnte, dann wäre diese Magie nicht da.“
Gentleman: Ich kann das rational gar nicht erläutern. Es ist einfach eine Musikrichtung, von der ich nie müde werde. Dieses Zusammenspiel von Bass sowie Drums in Kombination mit Texten, die oftmals über das Entertainment hinaus gehen, die eine Message haben und auch mal soziale Missstände ansprechen – das habe ich so in noch keinem anderen Musikgenre gefunden.
Hallo Augsburg: Und was sagst du zu den Leuten, die dir aufgrund deines Musikstils kulturelle Aneignung vorwerfen?
Gentleman: Ich fühle mich da immer ein Stück weit unangreifbar, da ich schon immer diesen Bezug zum Ursprung der Musik in Jamaika hatte. Dort habe ich von den Leuten die nötige Liebe und Motivation bekommen, um auch selbst genug Selbstbewusstsein für das Spielen von Reggae-Musik aufzubauen. Ich habe dabei oft mit jamaikanischen Künstler:innen sowie Produzent:innen zusammengearbeitet und hatte viele Auftritte auf der Insel.
Insgesamt finde ich es dennoch gut, dass sich in diese Richtung etwas bewegt und Kinderbücher umgeschrieben sowie manche Denkmäler eingestürzt werden. Wenn diese Diskussion allerdings dazu führt, dass wir nichts mehr dürfen und uns nicht mehr austauschen – dann wird es toxisch.
Hallo Augsburg: In deinen Songs greifst du oftmals politische Themen auf. Ist es dir wichtig, durch deine Musik eine Botschaft zu vermitteln?
„Inspiration ist überall – man muss sie nur abgreifen und dann in Musik manifestieren.“
Gentleman: Das wäre auf jeden Fall schön, doch nicht jeder Song muss eine politische Botschaft enthalten. In der Musik geht es ebenso um den Moment – da gibt es kein gestern oder morgen – und gleichzeitig auch um Gefühle sowie Vibes. Für mich gilt: Wenn ich eine Gänsehaut habe, dann ist das ein gutes Zeichen, denn eine Gänsehaut lügt nicht.
Hallo Augsburg: Wie haben sich deine Musik und du in den letzten 15 Jahren verändert?
Gentleman: Ich finde das immer schwer zu sagen. Einen großen Schritt sehe ich in dem deutschen Album „Blaue Stunde“, welches das erste in meiner Muttersprache war. Das wollte ich schon seit langer Zeit umsetzen, doch habe ich zuvor nie den richtigen Anfangspunkt gefunden. Außerdem bin ich der Meinung, dass Newcomer im Musik-Business eine gewisse Dynamik haben und beim Schreiben neuer Songs nicht so viel „zerdenken”. Später weiß man intuitiv, was bei den Leuten am besten funktioniert – und das kann ein Fluch und Segen zugleich sein.
Hallo Augsburg: Was aus den „guten alten Zeiten“ würdest du heute gerne nochmal machen?
Gentleman: Ich war früher leidenschaftlicher Skater und schaue mir noch immer gerne Videos dazu an. Erst letztens habe ich es dann auch mal wieder auf einer kleinen Rampe probiert – doch da hat es mich so dermaßen hingelegt. Ich werde jetzt eben doch schon fünfzig, da macht der Kopf das eben einfach nicht mehr mit. (lacht)
Hallo Augsburg: Worauf dürfen wir uns in Zukunft von dir freuen?
Gentleman: Ich kann mir nicht vorstellen, keine Musik mehr zu machen. Es wird also bestimmt noch viele weitere Songs geben und auch auf der Bühne stehe ich nach wie vor super gerne. Wir sehen uns also bestimmt nochmal. (zwinkert)