Wahrheit hinter Gittern: Gespräch mit einem Ex-Gefängnisdirektor

Einst Gefängnisdirektor, seit nunmehr sieben Jahren Vollzugskritiker. Was bewegte Thomas Galli zu diesem Ansichtswechsel? Er spricht mit uns über seine Erfahrungen und fordert die Gesellschaft zum Umdenken auf.

Wahrheit hinter Gittern: Gespräch mit einem Ex-Gefängnisdirektor

Dr. Thomas Galli studierte Rechtswissenschaften, Kriminologie und Psychologie. Über 15 Jahre lang arbeitete er im Strafvollzug und war dabei unter anderem Leiter der JVA Zeithain sowie der JVA Torgau. Seit Oktober 2016 zog er sich jedoch aus dem Strafvollzug zurück und ist nun wieder als Rechtsanwalt in Augsburg tätig. Bekannt ist er für seine Kritik an dem derzeitigen Konzept der Gefängnisse.

Von Beruf zur Berufung

In seiner Zeit als Gefängnisdirektor konnte Thomas Galli zahlreiche Erfahrungen und Eindrücke sammeln, die der Außenwelt sonst verschlossen bleiben und die seine Haltung gegenüber Gefängnissen langfristig ändern sollten. „Als Direktor einer Vollzugsanstalt sitzt man nicht nur beschäftigt mit Bürokratie hinter dem Schreibtisch“, erzählt Dr. Galli. Stattdessen hätte er damals auch einen engen Kontakt zu den Insassen gehabt, wobei er in den verschiedenen Anstalten auf ganz unterschiedliche Klientel getroffen war. Mit der Zeit fing er an, das Gesamtkonzept dieser totalen Institutionen immer mehr zu hinterfragen und stellte fest, dass durch solche oftmals das Gegenteil von einer Resozialisierung erreicht werde.

„Von innen heraus lässt sich grundlegend kaum etwas ändern.“

Verschiedene Gründe führten dann zu seinem Ausstieg aus dem Strafvollzug. Zum einen war der Rahmen, in dem er als Gefängnisdirektor agieren konnte, durch zahlreiche Vorschriften und Rahmenbedingungen sehr eng geknüpft. Zum anderen sei es auch eine Frage der Glaubwürdigkeit gewesen: Wie sollte er mit seinem Gesicht für eine Institution stehen, die er selbst in Frage stellte? Er beschloss, von außen seinen Diskurs einzubringen und sich der gesamtgesellschaftlichen Frage zu stellen, wie wir mit Straftätern umgehen und Kriminalität bekämpfen wollen.

Gefängnis: Die Schule des Verbrechens?

Bei Menschen in Haft ginge es nicht immer um Mord und Totschlag, sagt Dr. Galli. Rund die Hälfte der Inhaftierten müssten nur Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr verbüßen, wobei es sich dabei oftmals lediglich um Ersatzstrafen handele, beispielsweise das mehrfache Nichtbezahlen eines Bußgeldes. Schaue man auf ihre Lebensumstände, seien es meist Menschen aus prekären Verhältnissen.

„Was in den Gefängnissen passiert, richtet oftmals eher Schaden an.“

Eine Inhaftierung ist eine große psychische Belastung, denn mit Betreten der Vollzugsanstalt verlieren die Häftlinge jegliche Selbstbestimmung sowie Privatsphäre. Fast jedes Telefonat muss beantragt, alle Briefe gelesen und Hafträume regelmäßig durchsucht werden. Hinzu kommt eine geringe Besuchszeit von oftmals lediglich einer Stunde im Monat, die es kaum ermöglicht, persönliche Kontakte nach außen zu pflegen. „Diese Umstände führen zu einer Entfremdung von der Außenwelt. Der einzige Anschluss, der bleibt, ist der zu anderen Inhaftierten“, erklärt Thomas Galli. Oftmals kämen Kleinkriminelle erst im Gefängnis mit großen, illegalen Organisationen sowie Schwerverbrechern in Verbindung und gerieten dann auf die falsche Schiene, da sie nach der Entlassung ohne weitere soziale Kontakte in der Außenwelt auf sich allein gestellt wären.

Rolle der Gesellschaft

Thomas Galli wünscht sich eine größere Transparenz für das Leben hinter Gittern, denn noch immer hätten viele Leute eine falsche Vorstellung. Die Gesellschaft sei geprägt von einem starken Schwarz-Weiß-Denken, während das Gefängnis dabei als Symbol für psychische Sicherheit sowie zur klaren Abgrenzung von „Gut und Böse“ diene. Der „Strafe muss hart sein“-Gedanke müsste durch das Resozialisierungsideal ersetzt werden, erklärt Dr. Galli. Der Abschreckungsgedanke allein verhindere nur wenige Straftaten. Das liegt daran, dass gerade Gewalt- oder Sexualverbrecher meist aus Impulsen heraus agieren und die Täter sich selbst in diesen Momenten nicht unter Kontrolle haben. Betrüger planen ihre Verbrechen unterdessen in der Annahme nicht erwischt zu werden. Folglich würde eine höhere Aufklärungsrate mehr zu einer Prävention von Straftaten beitragen.

„Nicht nur der Täter muss lernen umzudenken, sondern auch die Gesellschaft.“

Thomas Galli fordert insgesamt mehr Überzeugungs-, Aufklärungs- sowie Argumentationsarbeit, denn mit dem Gefängnisaufenthalt sei die Strafe noch lange nicht abgesessen: Eine Inhaftierung ist noch immer ein großes Stigma im Lebenslauf und dadurch eine Resozialisierung unglaublich schwierig.

Alternativen zur Freiheitsstrafe

In anderen Ländern gibt es noch Folter- und Todesstrafen. Demgegenüber ist der Strafvollzug in Deutschland schon sehr weit fortgeschritten, dennoch entbinde uns dies nicht von der Pflicht, weiterhin daran zu arbeiten, betont Thomas Galli. Gerade durch die Ersatzfreiheitsstrafe seien laut ihm zu viele Leute in Haft. Er möchte die Arbeit, die bereits in den Gefängnissen geleistet wird, in einen realitätsnäheren Kontext bringen und schlägt dafür Wohngruppen oder überwachten Hausarrest vor. Dort könnten die Häftlinge kontrolliert gemeinnützige Arbeit leisten, ohne in der Zeit der Maßregelung den Anschluss zur Welt zu verlieren.

„Kriminelles Verhalten darf sich natürlich nicht auszahlen, im Gegenteil: es sollte zum Nachtteil führen. Sonst könnte jeder machen, was er will.“

Aus eigener Erfahrung kann Thomas Galli berichten, dass es für Täter häufig schwerer ist, sich ihren Opfern oder deren Angehörigen zu stellen, als sich hinter den sicheren Mauern des Gefängnisses zu verstecken. Auch hier sieht er ein großes Potenzial, denn dies kann nicht nur die Täter zum Umdenken animieren, sondern auch den Betroffenen helfen über das Geschehene hinwegzukommen. Der absolute Freiheitsentzug sollte laut ihm ausschließlich in schlimmen Fällen der Kriminalität zur Anwendung kommen und auch dann nur unter menschenwürdigen Umständen.

Bücher

In seiner Zeit als Gefängnisdirektor konnte Thomas Galli zahlreiche außergewöhnliche Persönlichkeiten kennenlernen, die einen Teil ihres Lebens hinter Gittern verbringen mussten. Nun schreibt er ihre spannenden und sogleich prägenden Geschichten auf, während er anhand dieser die Probleme des deutschen Strafvollzugs darstellt. Mittlerweile veröffentlichte er bereits fünf Bücher und gab uns zum Abschluss noch einen kleinen Lichtblick: bald werden die Erfahrungen der Sträflinge wohl auch auf unseren Fernsehern geteilt werden.

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